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Zum 150. Geburtstag von Thomas MannDer heimliche Außenseiter

Zum Jubiläum wird Thomas Mann so beflissen gedacht, als könne die Besinnung auf ihn die gesellschaftliche Mitte zusammenhalten. Das ist bemerkenswert.

Nach außen stets bürgerlich-akkurat, aber dahinter: innere Dramen! Thomas Mann in Pacific Palisades, vermutlich 1946 Foto: ETH-Bibliothek Zürich/Thomas-Mann-Archiv/TMA_5373

Berlin taz | Ein Kaufmannssohn. Privilegiert. Großbürgertum. Doch er will nicht so werden wie sein nervöser, vom Pflichtbewusstsein zusammengehaltener Vater, entdeckt die Musik und das Sehnen und stirbt früh. Thomas Mann hat ihn erfunden, Hanno Buddenbrook heißt er.

Oder Hans Castorp. Wieder ein Kaufmannssohn. Alles in allem ein ziemlich durchschnittlicher junger Mann, bloß etwas blässlich. Eine Karriere als Ingenieur ist ihm vorgezeichnet. Doch in einem Sanatorium in den Bergen wird er krank. Er bleibt dort oben, in der dünnen Luft einer moribunden Gegenwelt, bis er dem bürgerlichen Leben im Flachland mit Beruf und Familie, ohne es sich einzugestehen, entfremdet ist. Und bis der Erste Weltkrieg ausbricht und sowieso alles hinwegfegt.

Die „Buddenbrooks“ und „Der Zauberberg“, Manns berühmteste Romane. Pflicht­ethik und Lebenskrisen. Sexualität als Versuchung und Verhängnis. Starre Rollenmodelle, Künstlertum als Gegenmodell. Sinnsuche und Selbstverwirklichung als Verfall und Verfeinerung zugleich.

In der Mitte des Bürgertums rumort die Unruhe. Es ist, wenn man von den Thomas-Mann-Klischees mal einen Schritt zurücktritt, eigentlich ziemlich bemerkenswert, dass diese so waghalsigen wie entlarvenden Bücher nicht nur den Kanon prägten, sondern auch direkt die kulturelle DNA unserer Gesellschaft. Aber sie taten es und tun es zum Teil noch. Der heimliche Außenseiter, der aus der Selbstverständlichkeit Herausgefallene, das „Sorgenkind des Lebens“ (Th. Mann) als Identifikationsangebot und Zentralfigur – das hat Thomas Mann zwar nicht erfunden, aber feinst ausgemalt und popularisiert. Bis heute gibt es kaum einen Familienroman, der nicht von den „Buddenbrooks“ beeinflusst ist.

Wie Mitte ist Thomas Mann?

Jetzt, zum 150. Geburtstag, wird seiner vielerorts so beflissen gedacht, als könne die Besinnung auf ihn unsere gesellschaftliche Mitte zusammenhalten. Am 6. Juni findet in Lübeck fast schon ein Staatsakt statt, mit Bundespräsident und allem. Doch das Staatstragende ist nur eine Seite an Mann. Die andere: In seiner Mitte, so bürgerlich sie daherkommt, ist nichts stabil. Da sind Anstrengung und Sehnsucht, sublimierte Verzweiflung und nur schüchternes Glück.

Seine Bücher lesend, in diesen Kathedralen der Sprache wandelnd, versteht man denn auch, warum in der Moderne Gegenkultur und Subkultur, Therapiegesellschaft und Kreativitätsparadigma erfunden worden sind. Es musste irgendwann ja auch Raum geben, um Sexualität auszuleben und die Hinterfragung vorgegebener Rollen, die in seinen Büchern ergebnislos drängte, auch praktisch umzusetzen.

Wie Mitte ist Thomas Mann? Nach außen hin inszenierte er sich stabil, als kultureller Repräsentant, stets in Anzug und Krawatte oder mit Fliege (außer manchmal am Strand). Doch dahinter: innere Dramen. Neurosen. Abhängigkeit von Zuspruch und Anerkennung. Ein ständiges Hin und Her von Selbstbeobachtung und Bewältigung des an sich selbst Beobachteten. Und: lebenslanger Kampf, ja Kampf, gegen die eigene Homosexualität, ausgetragen im ehelichen Schlafzimmer und im eigenen Tagebuch. So repräsentativ er sich gab, er war sich immer auch selbst fremd. Heimlicher Außenseiter blieb er.

Auch politische Verzweiflung trieb ihn um. Nachdem Thomas Mann sich im Ersten Weltkrieg als Reaktionär inszeniert hatte, wandelte er sich in der Weimarer Republik erst zum Demokraten und im Zweiten Weltkrieg dann auch zum antifaschistischen Aktivisten. Mit einer „Rhetorik des entflammten Zorns“ (so der Mann-Forscher Dieter Borchmeyer) wandte er sich gegen die Nazis, vom kalifornischen Exil aus in Radioansprachen. Hoffentlich sehen die konservativen Menschen, die sich jetzt zu seinem Geburtstag auf Thomas Mann berufen, in Zeiten der erstarkten AfD auch diesen Aspekt: Spätestens ab 1930 war er eine leibgewordene Brandmauer.

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14 Kommentare

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  • Geschichte wiederholt sich nicht.

    Der Mensch oder besser sein Gehirn, versucht nur - sich vieles unbegreifliche der Gegenwart zu erklären, einzuordnen um sich zu beruhigen...

    Thomas Mann - ein großartiger Schriftsteller

    • @Alex_der_Wunderer:

      Huch 🙀🥳 Ja wie?



      &



      Dachte MRR - Ruhe bereits?! Wollnich



      Ok Ok - Schreck laß nach

      Der 🪞- Der Badeort Travemünde bei Lübeck;)



      Na gut im Casino 🎰 - Ausriß -



      “…Robert Gernhardt stellte die Novelle "Mario und der Zauberer" vor, die im Italien Mussolinis spielt und eine hochpolitische Geschichte sei. Gernhardt blieb den ganzen Abend über sympathisch gelassen. Er redete weitaus weniger als die anderen, war aber uneitel genug, sich daran kein bisschen zu stören. Dass Thomas Mann samt Familie nur eine Woche in Venedig war und trotzdem Stoff für eine ganze Erzählung zusammentrug, bewunderte der Frankfurter als "ökonomische Haltung". - 🙀🥳🧐 -



      & der Knarzer der Nation / nicht das Telefon📔



      Alive: “Als vierte und letzte Novelle stellte Reich-Ranicki "Tonio Kröger" vor. Dieses Werk hätte ihn schon als 14-Jährigen begeistert. Es spiegele das zentrale Motiv Manns wider: die Polarität zwischen Künstler und Bürger. Radisch zeigte sich dagegen "fast empört über die Ehrenrettung des simpel gedachten Bürgerlichen". So recht zu verstehen war dieser Gefühlsausbruch zwar nicht, aber wenigstens kam mal wieder Leben in die Bude



      Reich-Ranicki-Fans WundererAlex haben einen routinierten Altmeister… ff

      • @Lowandorder:

        Holla, pfeinstes gepfingste 🍹🦋 nicht ohne Grund hört unser 🐕 auf Friedemann, wenn er gerufen 🤣😂😅🤣

  • „Doch dahinter: innere Dramen. Neurosen. Abhängigkeit von Zuspruch und Anerkennung. Ein ständiges Hin und Her von Selbstbeobachtung und Bewältigung des an sich selbst Beobachteten. "



    Ein Mann. Ein Mensch. Ein Mann.

  • "Es musste irgendwann ja auch Raum geben..." Nun haben wir der Räume endlos, und wissen nichts Sinnvolles damit anzufangen. Wir gamen uns durchs Leben. Spielementalitäten bis in die tiefste Resignation, die Dummheit vorgeschaltet, aus der dann die Mitläufer der AfD erwachsen. Solche Figuren hätte man vorzeitig Thomas Mann als Pflichtlektüre geben sollen. Zu schwierig? Nein ! Der Mensch ist durchaus lernfähig. Man muss ihm aber zeigen, wie er sein Potenzial nutzen kann, nutzen muss. Das Leben ist kein Spiel!

  • Außerhalb einer gewissen kulturellen Szene spielt auch Thomas Mann in einer wie auch immer definierten "bürgerlichen Mitte" wohl kaum eine Rolle mehr. Das jetzt sein politisches Engagement abseits des Unterhaltungswerts seiner Romane hervorgehoben wird ist sicher wichtig um daraus lernen zu können, ein Selbstläufer ist es nicht mehr.

  • Tote geben eine hervorragende Projektionsfläche ab. Dabei verrät jede Projektion mehr über deren Produzenten als über die, die als Projektionsfläche herhalten muss. Die „Entscheidung“ von Literaturbetrieb, Politik und Gesellschaft der BRD für den Hamburger Bourgeois als Beispiel aufrechten Widerstands gegen den Nationalsozialismus und nicht für eineN andereN AutorIn spricht für die Kontinuität eines elitären Nationalliberalismus, der das dritte Reich als grausamen Unfall der Geschichte abhaken und die innere Seelenverwandtschaft leugnen will.

  • "...wandte er sich gegen die Nazis, vom kalifornischen Exil aus in Radioansprachen. Hoffentlich sehen die konservativen Menschen, die sich jetzt zu seinem Geburtstag auf Thomas Mann berufen, in Zeiten der erstarkten AfD auch diesen Aspekt: Spätestens ab 1930 war er eine leibgewordene Brandmauer."



    Der Meister der Sprache versuchte sich dabei aber auch gelegentlich im ungewöhnlich scharfen u. direkten Tone, werden Ästheten vielleicht einräumen, ohne die gewohnte Ironie.



    Übrigens genauso, wie es diese Nazis verdient hatten.



    "....Thomas Mann im Jahre 1933 in der Schweiz, zufällig »gerade draußen«, während in Deutschland die Nationalsozialisten triumphieren, »diese Tiere«, Hitler, dieser »Kujon« und »Mordcharlatan« -- so Thomas Mann in seinen Tagebüchern."



    spiegel.de



    /



    "Ausgerechnet der Chefhetzer gab sich empört: „Schamlos beleidigt“ habe Thomas Mann die Nationalsozialisten, notierte Joseph Goebbels am frühen Morgen des 18. Oktober 1930 in seine Tagebuchkladde. Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger hatte am Abend zuvor die Anhänger Hitlers öffentlich als „Barbaren“ bezeichnet. Doch zugleich freute sich Goebbels: „Unsere Leute“ hätten Mann „auf den Kopf gespuckt“,..."



    welt.de

    • @Martin Rees:

      „ ,Schamlos beleidigt' habe Thomas Mann die Nationalsozialisten, notierte Joseph Goebbels "



      Danke für das Zitat. Es ist immer wieder erschreckend, wie sehr die heutigen Rechts-Autokraten und das AfD-Personal sich eindeutig an Goebbels orientieren.

      • @starsheep:

        “Guter Redner - lausiger Schreiber!“



        Hans Mayer



        Indeed - zB



        “Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei!“

        unterm——



        de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels - s. Tagebücher



        de.wikipedia.org/w...urwissenschaftler)



        🤖Hans Mayer war ein deutscher Schriftsteller, Literaturkritiker und Hochschullehrer. Er hat sich in seinen Werken intensiv mit Goebbels auseinandergesetzt, insbesondere mit dessen Tagebüchern. Mayer betrachtete Goebbels als eine Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts und analysierte seine psychologische und politische Rolle.



        Hans Mayers Analyse von Goebbels:



        Die Tagebücher als Spiegel der Seele:



        Mayer sah in Goebbels' Tagebüchern eine Möglichkeit, in die Seele eines Faschisten einzutauchen und die Mechanismen der Propaganda und des Hasses zu verstehen.



        Goebbels als Perfektionist



        Mayer hob Goebbels' Perfektionismus und seine Fähigkeit hervor, sich selbst und seine Ideologie zu rechtfertigen.



        Die Rolle der Propaganda:



        Mayer analysierte Goebbels' Propaganda-Techniken und betonte deren Einfluss auf die deutsche Gesellschaft.



        Die Gefahr des Fanatismus:



        Mayer warnte vor der Gefahr des Fanatismus und der Verlockung durch radikale Ideologien.



        Goebbels als 🪞…f

        • @Lowandorder:

          ff…Mayer sah in Goebbels' Leben und Wirken einen Spiegel des deutschen Wahnsinns und des Versagens der deutschen Gesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus.



          Goebbels in Mayers Werken:



          "Goebbels" (1980):



          In dieser Studie analysierte Mayer Goebbels' Tagebücher und widmete sich seiner psychologischen und politischen Rolle.



          "Das Tagebuch des Goebbels" (1997):



          In dieser Arbeit widmete sich Mayer der Analyse von Goebbels' Tagebüchern und deren Bedeutung für das Verständnis der Nationalsozialismus.



          Weitere Aspekte von Mayers Analyse:



          Die Grenzen des Verständnisses:



          Mayer räumte ein, dass es schwierig sei, Goebbels' Verhalten vollumfassend zu verstehen, und warnte vor der Gefahr einer Vereinfachung.



          Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung:



          Mayer betonte die Notwendigkeit, sich mit Goebbels und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, um zukünftige Verheerungen zu verhindern.



          Zusammenfassend: Hans Mayer war ein wichtiger Kenner und Kritiker von Goebbels' Wirken. Seine Analysen sind bis heute von großer Bedeutung für das Verständnis des Nationalsozialismus und seiner Mechanismen.

  • In seinem Roman Mario und der Zauberer (1930) schildert Thomas Mann seine Eindrücke aus Italien, geprägt von der allgegenwärtigen Präsenz der Schwarzhemden Mussolinis. Mit vulgären Gesten und Posen nehmen sie die Massen ein, treiben sie zum Jubeln und Tanzen – politische Agitation als Spektakel gegen Eintrittsgebühr. Doch letztlich fallen sie ihrer eigenen Militanz, Drogenabhängigkeit und Aufputschmitteln zum Opfer, inszenieren ihren Tod wie eine Tragödie, als wären sie Sokrates, der den Schierlingsbecher leert.



    Das von Mann beschriebene Szenario unterscheidet sich von den tatsächlichen Entscheidungen Hitlers und Mussolinis. Während sie ihre Ideologien mit millionenfachem Mitnahmeeffekt an Ermordeten, Kriegsversehrten durchsetzten – insbesondere durch die Shoa Vernichtung jüdischen Leben in Europa–, spiegeln sich ihre Motive in den traumatisierten Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs wider, die in Restaurants, Biergärten, Theatern und Stadien ihre eigene Zerstörung zelebrieren. Diese Inszenierung passt auch in die Gegenwart, in der Machthaber wie Trump, Musk und Putin mit Selbstinszenierung und Macho-Gehabe im Habitat vergangen faschistisch stalinistischer Taktiken anknüpfen.

    • @Joachim Petrick:

      Geschätzter Mitflorist - mit Verlaub -



      Wie meinen?



      Ich kriegs nicht auseinander klamüsert.

      • @Lowandorder:

        Warum Thomas Mann uns weiterhin interessieren sollte / muss:



        Ein Beispiel aus d. Schulbereich.



        "Die politische Lesart setzte sich bei Mann erst in den 1940er-Jahren durch. 1947 deutet er sie dann in einem Brief an Henry Hatfield als seine „erste Kampfhandlung gegen das, was damals schon die europäische Gesamtatmosphäre erfüllte.



        ()



        Mario – eine Frage des Willens



        Über diesen politisch-gesellschaften Implikationen, deren Gegenwartsbezug sich auf den genannten Ebenen entfalten lässt, darf jedoch die zentrale, stets aktuelle Frage der Novelle nicht außer Acht gelassen werden, nämlich die nach der Willensfreiheit. Die Manipulation durch „Willensentziehung und -aufnötigung“, die der Zauberer Cipolla im späteren Verlauf der Novelle so machtvoll demonstriert, führt letztlich dazu, dass er von Mario erschossen wird. Diese heftige Reaktion Marios wirft spannende Fragen auf, die Interpretation und Aktualitätsbezug der Novelle zusammenführen..."



        Quelle"



        deutsch-klett.de/i...-und-der-zauberer/



        Novellen haben d. Charme, dass sie als kurze Lektüre auch persönlich in wenigen Stunden gelesen / durchgearbeitet werden können.



        "Mario and the Magician"